Zurück in die Zukunft – der Arbeitsschutzausschuss
Mit dem Arbeitsschutzausschuss wurde vom Gesetzgeber im Jahr 1973 ein Organ für den innerbetrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz eingeführt. Viele Unternehmens- und Betriebsleitungen stellen sich heute die Frage: Kann eine über 40 Jahre alte gesetzliche Forderung noch zeitgemäß sein? Schließlich haben sich in den letzten Jahrzehnten Formen und Ressourcen der betrieblichen Management- und Organisationsstrukturen teilweise grundlegend gewandelt.
Umgekehrt wird in der Welt der „Arbeitsschützer“ der Arbeitsschutzausschuss als das zentrale Organ der betrieblichen Arbeitsschutzorganisation betitelt und die vierteljährliche Sitzung als heilige Institution gehandelt. Eine Auffassung, der man nicht zwingend folgen muss – weder vor 40 Jahren noch heute. Hierzu reicht ein Blick in das Arbeitssicherheitsgesetz (§ 11 ASiG), in welchem vom Arbeitgeber gefordert wird:
- in Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten ist ein Arbeitsschutzausschuss zu bilden,
- der aus dem Arbeitgeber oder einem von ihm Beauftragten, zwei vom Betriebsrat bestimmten Betriebsratsmitgliedern, Betriebsärzten, Fachkräften für Arbeitssicherheit und den Sicherheitsbeauftragten besteht und
- sich mindestens einmal vierteljährlich zusammenfindet, um
- Anliegen des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung zu beraten.
Übersetzt ins Business-Neusprech des 21. Jahrhunderts: „Der CEO muss eine Projektgruppe bilden, deren Task der Support von betrieblichen Issues in Sachen Arbeitsschutz und Unfallverhütung ist. Der Jour fixe der Projektgruppe soll regelmäßig, mindestens einmal vierteljährlich, stattfinden.“
Im Umkehrschluss bedeutet dies: Das Arbeitssicherheitsgesetz regelt nicht, dass der Arbeitsschutzausschuss
- eine Sitzung am runden Tisch ist (vgl. § 11 ASiG),
- Beschlüsse verfassen muss oder soll (vgl. § 11 ASiG),
- ein Kontrollorgan ist (vgl. § 3 ArbSchG),
- verantwortlich für die Erfüllung der Arbeitsschutzpflichten ist (vgl. § 13 ArbSchG),
- über seine Beratungen ein Protokoll führen muss (vgl. § 6 ArbSchG).
Vielmehr wird aus der gesetzlichen Aufgabenzuweisung, der Beratungsfunktion und der Auswahl des Personenkreises deutlich: Der Arbeitsschutzausschuss ist kein Beschlussorgan. Für ein solches müsste der Arbeitsschutzausschuss mit Weisungs- und Delegationsrechten ausgestattet werden, den Einsatz monetärer Mittel einfordern können und auch arbeitsschutzrechtlich handlungsfähig sein, um z.B. die Mitwirkungspflicht der Beschäftigten durchzusetzen. Über diese Rechte verfügt außer dem Arbeitgeber aber keine für den Arbeitsschutzausschuss geforderte Person:
- Der Betriebsarzt und die Fachkraft für Arbeitssicherheit unterstützen und beraten laut Gesetz und sind in der Anwendung der Fachkunde weisungsfrei.
- Die Sicherheitsbeauftragten, welche ebenso in Betrieben ab 20 Beschäftigten bestellt werden müssen, sollen den Arbeitgeber unterstützen, sich von der Benutzung vorgeschriebener Schutzeinrichtungen bzw. persönlicher Schutzausrüstungen überzeugen und ihre Kollegen auf Unfall- und Gesundheitsgefahren hinweisen.
Die genannten Funktionsträger haben zum Arbeits- und Gesundheitsschutz lediglich ein Vorschlagsrecht aber grundsätzlichen keinen Anspruch auf Umsetzung . Weiter haben Betriebsärzte, Fachkräfte für Arbeitssicherheit und selbst der Betriebsrat nicht einmal einen Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber einen Arbeitsschutzausschuss bildet. Der Betriebsrat müsste sich an die zuständige Arbeitsschutzbehörde wenden, um die Bildung des „Arbeitskreises Arbeitsschutz“ durchzusetzen (vgl. BAG, Urteil 1 ABR 82/12 v. 15.04.2014). Externen Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit bleibt selbst diese Möglichkeit verwehrt. Im Übrigen sieht das Arbeitssicherheitsgesetz keine direkten Sanktionen vor, wenn der Arbeitgeber keinen Arbeitsschutzausschuss bildet (vgl. § 20 ASiG).
Aufgrund der fehlenden eigenständigen Steuerungsfähigkeit wird klar, dass der Arbeitsschutzausschuss nur Teil einer betrieblichen Arbeitsschutzorganisation sein kann (im Sinne einer geeigneten Organisation nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG), aber kein zentrales Organ. Im Arbeitsschutzausschuss sollen
- Erfahrungen ausgetauscht,
- die Zusammenarbeit der Akteure institutionalisiert und gemeinsame Anliegen beraten werden,
- um dem Arbeitgeber, den betrieblichen Funktionsträgern und dem Betriebsrat in der Umsetzung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes Empfehlungen auszusprechen.
Der Grundgedanke eines solchen „Kommunikationsforums“ Arbeitsschutzausschuss findet sich auch in der Gesetzesbegründung wieder:
„Die Vorschrift verpflichtet den Arbeitgeber, die Zusammenarbeit der im Betrieb mit dem Arbeitsschutz und der Unfallverhütung befassten Stellen (das sind außer dem Arbeitgeber und den neben ihm für den Arbeitsschutz und die Unfallverhütung verantwortlichen Personen der Betriebsrat, die Betriebsärzte, die Fachkräfte für Arbeitssicherheit und die Sicherheitsbeauftragten) zu organisieren.
Organisation des Arbeitsschutzausschusses
Gesetzlich ist der Arbeitgeber lediglich verpflichtet „die Zusammenarbeit … zu organisieren“, indem er einen Arbeitsschutzausschuss „bildet“. Grundsätzlich muss dies in Betrieben mit über 20 Beschäftigten erfolgen – eine Ausnahme hiervon lässt das Gesetz nicht zu. Der Arbeitgeber muss den im Gesetz genannten Personenkreis zur Teilnahme am Arbeitsschutzausschuss einladen und darauf achten, dass dieser mindestens einmal vierteljährlich zusammentrifft (§ 11 ASiG).
Die Frage, ob eine Teilnahmeverpflichtung für den eingeladenen Personenkreis besteht, stellt sich nicht. Der Gegenstand der Mindestteilnahme ist in § 11 ASiG abschließend geregelt. Eine Teilnahmeverpflichtung des Betriebsarztes und der Fachkraft für Arbeitssicherheit im Arbeitsschutzausschuss ergibt sich zwingend aus der Systematik des § 11 ASiG. Das gibt gesetzlich vor, wer dem Arbeitsschutzausschuss (mindestens) angehört. Im Hinblick auf diese gesetzlichen Festlegungen hat der Arbeitgeber keinen Handlungsspielraum.
Der Arbeitsschutzausschuss ist per se keine Sitzung
In welcher Form der Arbeitsschutzausschuss zusammentrifft, um seiner „Aufgabe, Anliegen des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung zu beraten“ nachzukommen, ist nicht geregelt. Neben der klassischen Besprechungsform sind selbstverständlich auch heute gängige „Meetings“ wie Telefon- oder Videokonferenzen denkbar.
Darüber hinaus spricht nichts dagegen, dass der Arbeitsschutzausschuss für seine Aufgabe asynchrone Kommunikationsformen wie Mailinglisten, E-Mail-Verteiler oder Online-Foren nutzt. Mit dieser Form der Zusammenarbeit wäre eine Austausch nicht nur „mindestens“ vierteljährlich, sondern sogar 365 Tage im Jahr möglich. Auch wenn der Gesetzgeber vor mehr als 40 Jahren an solche „modernen“ Möglichkeiten des Informationsaustauschs sicherlich noch nicht gedacht hat: Das Gesetz fordert kein bestimmtes Format oder schließt ein solches aus.
Hilfreich ist sicher eine innerbetriebliche Geschäftsordnung für den Arbeitsschutzausschuss. Diese kann grundsätzliche Regelungen zur Zusammensetzung, zu den Arbeitsformen sowie zur Berichterstattung enthalten.
Themen für den Arbeitsschutzausschuss
Die Themen des Arbeitsschutzausschusses ergeben sich aus § 11 Satz 3 ASiG: „Anliegen des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung“. Zur Orientierung können hierzu die Pflichten aus dem Arbeitsschutzgesetz und der Arbeitsschutzverordnung, aus den Aufgabenkatalogen für Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit (§§ 3,6 ASiG) sowie den Aufgaben der Sicherheitsbeauftragten (§ 22 Abs. 3 SGB VII) dienen.
Wiederkehrend können z.B. folgende Themen behandelt werden:
- Stand/Aktualität der Gefährdungsbeurteilung (§ 5 ArbSchG)
- Vorschläge zu Maßnahmen des Arbeitsschutzes (§ 4 ArbSchG)
- Ergebnisse der Wirksamkeitsprüfungen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 ArbSchG)
- Stand/Erkenntnisse arbeitsmedizinischer Vorsorgen (§§ 3, 11 ArbMedVV)
- Auswertung der Unfallstatistik (§ 6 Abs. 2 ArbSchG, §§ 3, 6 ASiG)
- Stand der Unterweisungen und Unterstützungsangebote (§ 12 ArbSchG, §§ 3, 6 ASiG)
- Anzahl und Qualifikation beauftragter Personen (Ersthelfer, Brandschutzhelfer, Sicherheitsbeauftragte)
- Fragen zur Rechtskonformität (Arbeitsschutzverordnungen, Technische Regeln, Unfallverhütungsvorschriften)
Dokumentation des Arbeitsschutzausschusses
Im Arbeitssicherheitsgesetz und in sonstigen Rechtsvorschriften finden sich im direkten Bezug zum Arbeitsschutzausschuss keine Dokumentationsverpflichtungen. Die gesetzlichen Dokumentationspflichten zum Arbeitsschutz ergeben sich vielmehr aus § 6 ArbSchG im Hinblick auf das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung, die vom Arbeitgeber festgelegten Maßnahmen sowie das Ergebnis ihrer Überprüfung.
Zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgabe aller Funktionsträger des Arbeitsschutzausschusses sollten die Beratungsergebnisse und die Hinweise an den Arbeitgeber dokumentiert sein (Betriebsarzt, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Sicherheitsbeauftragte, aber auch der Betriebsrat haben hier eine Mitwirkungspflicht, wenn nicht sogar eine gewisse Form der Leistungsschuld gegenüber dem Arbeitgeber). Diese Dokumentation muss nicht in einem separaten Protokoll erfolgen, sondern kann sich z.B. im Rahmen der Dokumentation nach § 6 ArbSchG in der Gefährdungsbeurteilung oder in den Ergebnissen der Maßnahmenüberprüfung mit einer Quellenangabe „Arbeitsschutzausschuss“ wiederfinden. Bei der Nutzung elektronischer Textformen stellt sich die Frage nach einer vorhandenen Dokumentation erst gar nicht.
Grundsätzlich obliegen die gesetzlichen Dokumentationspflichten dem Arbeitgeber und den verantwortlichen Personen nach § 13 ArbSchG (Führungs- und Leitungskräften). Weder der Betriebsarzt, die Fachkraft für Arbeitssicherheit, die Sicherheitsbeauftragten noch ein Betriebsrat tragen Verantwortung für die rechtliche Ordnungsmäßigkeit der durch den Arbeitgeber oder seinen Beschäftigten erstellten Informationen und Dokumentationen oder für die Einhaltung der arbeitsschutz- und handelsrechtlich geltenden Aufbewahrungsfristen.
Mit anderen Worten
Die Arbeit des Arbeitsschutzausschusses muss also nicht in der Form eines Schöffengerichts abgehalten werden und genauso wenig in stundenlangen Sitzungsmarathons enden. Der Hauptnutzen eines effektiven Arbeitsschutzausschusses ist das Erreichen eines ungestörten Betriebsablaufs. So sollen im Mittelpunkt der Beratungen des Arbeitsschutzausschusses die Beobachtungen stehen, die im Betrieb dem ungestörten Betriebsablauf entgegenstehen. Adressaten der Empfehlungen des Arbeitsschutzausschusses sind in erster Linie der Arbeitgeber, die weiteren nach § 13 ArbSchG genannten Personen und die Beschäftigten – welche ausschließlich auch für die Umsetzung der gesetzlichen Arbeitsschutzpflichten verantwortlich sind.
Die Forderung nach einem Arbeitsschutzausschuss wurde vor über 40 Jahre – gewollt oder ungewollt – mit Rücksicht auf die Zukunft verfasst. Im Grundsatz wird vom Arbeitgeber nur verlangt, einen spezifisch besetzen Arbeitskreis mit der Beratung von Anliegen des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung zu beauftragen. Ob die Beratung und der Erfahrungsaustausch am runden Tisch, per Mailingliste, Web-Konferenz oder über Instant Messaging erfolgen, kann sich ohne Weiteres an den vom Unternehmen gepflegten Kommunikationsmethoden orientieren – solange eine physische oder digitale „Session“ mindestens einmal vierteljährlich gewährleistet ist.